Blick in den Saal einer modernen Universitätsbibliotheke. In der Mitte befinden sich oval angeordnet einige Arbeitsplätze, an manchen davon arbeiten Studierende an ihrem Laptop. Rund um die Arbeitsplätze befinden sich Bücherregale. Der Saal ist hell und gut beleuchtet, die Ausstattung ist aus hellem Holz.

Nachteilsausgleich beim Numerus clausus

Bildung

Aktueller Stand: Vor Verwaltungsgericht des Kantons Bern

Letztes Update: 22. Mai 2024

Kanton: Bern

Worum geht es

Marion will Tierärztin werden. Deshalb möchte sie an der Universität Bern Veterinärmedizin studieren. Für die Zulassungsprüfung (Numerus clausus) beantragt sie aufgrund ihrer Dyslexie – einen Nachteilsausgleich in Form eines Zeitzuschlags. Dieser wird ihr von der Universität Bern jedoch verweigert. Dagegen wehrt sie sich – unterstützt von we claim – vor Gericht.

Hintergrund

Die Schweiz hat sich mit der Ratifizierung der UNO-Behindertenrechtskonvention (BRK) verpflichtet, Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Hochschulbildung und zu lebenslangem Lernen gleichberechtigt mit Menschen ohne Behinderungen zu gewährleisten. Daraus und aus dem Diskriminierungsverbot in der Bundesverfassung ergibt sich das Recht von Menschen mit Behinderungen auf angemessene Vorkehrungen. Darunter fällt auch das Recht auf Nachteilsausgleich bei Prüfungen. Dies stellt keine Bevorteilung dar, sondern gewährleistet Chancengleichheit.

Ziele

Das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Nachteilsausgleich bei Prüfungen wird in der Praxis immer wieder in Frage gestellt. Ein positiver Entscheid in diesem Fall würde das Recht auf Nachteilsausgleich von Menschen mit Behinderungen nachhaltig stärken und in Bezug auf die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen ein wichtiges Zeichen setzen.

Fallgeschichte

Marion wollte Veterinärmedizin an der Universität Bern studieren. Sie beantragte aufgrund ihrer Dyslexie einen Nachteilsausgleich für den Numerus clausus, unter anderem in Form eines Zeitzuschlags. Die Universität Bern verweigerte den Zeitzuschlag ganz. Sie begründete die Verweigerung damit, dass Bewerbende durch den Nachteilsausgleich keine Vorteile erlangen dürfen. Unbestritten ist, dass Marion bei Prüfungen während des Studiums der Veterinärmedizin von der Universität Bern einen Zeitzuschlag erhalten würde.

Marion hingegen macht geltend, dass die Verweigerung des Zeitzuschlags beim Numerus clausus eine Diskriminierung aufgrund von Behinderung beim Zugang zur Hochschulbildung durch die Universität Bern darstellt. Die Gewährung eines Zeitzuschlags für Studierende mit Dyslexie ist keine Bevorzugung, sondern eine Massnahme zur Herstellung der Chancengleichheit. Das Ziel besteht darin, allen Bewerber:innen für den Numerus clausus die Möglichkeit zu geben, sich ohne Benachteiligung aufgrund einer ausgleichbaren Behinderung zu beweisen.

Die Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern folgte der Argumentation der Universität Bern und wies die Beschwerde von Marion ab. Diesen Entscheid zog Marion ans Verwaltungsgericht des Kantons Bern weiter. Aus Sicht des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern handelte es sich bei der Frage, ob bei der Zulassungsprüfung zum Medizinstudium (Numerus clausus) als Nachteilsausgleich ein Zeitzuschlag zu gewähren sei, um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Es entschied deshalb mit einem Gremium von fünf Richter:innen anstelle von nur drei Richter:innen. Zudem ordnete es eine öffentliche Beratung an. Mit einem Mehrheitsentscheid (3:2) folgte es schliesslich jedoch ebenfalls der Argumentation der Universität Bern. Gegen diesen Entscheid erhob Marion Beschwerde beim Bundesgericht.

In einer öffentlichen Beratung am Bundesgericht in Lausanne hiessen die fünf Richter:innen im Mai 2024 die Beschwerde von Marion gegen die Universität Bern gut. Zwar waren sie sich nicht einig, ob es sich bei der Verweigerung eines Zeitzuschlags beim Numerus clausus um eine Diskriminierung handelt. Mit 3:2 Stimmen beschlossen sie aber, die Beschwerde gutzuheissen und die Angelegenheit für weitere Abklärungen an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückzuweisen. Dieses muss nun eine unabhängige Expertise darüber einholen, ob ein Zeitzuschlag mit dem Prüfungszweck des Numerus clausus vereinbar ist.

Schon dieser Etappensieg setzt in Bezug auf die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in der Bildung ein wichtiges Zeichen. In anderen Ländern wie z.B. den USA oder Grossbritannien ist ein Zeitzuschlag in ähnlichen Prüfungssituationen aber bereits selbstverständlich.

Zitat

«Mit der Durchsetzung gleicher Prüfungsmodalitäten wird das Potenzial von Menschen mit Dyslexie verkannt: Sie hat zur Folge, dass zahlreiche Personen aufgrund ihrer Dyslexie aus dem Arztberuf ausgeschlossen werden». Jacques Dubochet, Nobelpreisträger für Chemie.


Timeline

  • Mai 2024

    Rückweisung ans Verwaltungsgericht des Kantons Bern

    Gutheissung der Beschwerde

    Öffentliche Beratung am Bundesgericht

  • Mai 2023

    Beschwerde ans Bundesgericht

  • März 2023

    Abweisung der Beschwerde durch das Verwaltungsgericht des Kantons Bern

    Öffentliche Beratung vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern

  • März 2022

    Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons Bern

  • Februar 2022

    Abweisung der Beschwerde durch die Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern

  • August 2021

    Beschwerde an die Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern

  • Juli 2021

    Ablehnung Zeitzuschlag durch Universität Bern

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