Chancengleichheit ist nur ein leeres Versprechen

Medienmitteilung

25—05—23

Eine junge Frau wirft der Universität Bern Diskriminierung beim Zugang zur Hochschulbildung vor: Der Zeitzuschlag, auf den sie als Folge ihrer Dyslexie angewiesen ist, wird ihr bei der Numerus clausus-Prüfung verweigert. Mit einem Mehrheitsentscheid (3:2) kommt das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zum Schluss, dass kein rechtlicher Anspruch auf diesen Zeitzuschlag besteht. Inclusion Handicap stellt jedoch fest, dass bei dieser Frage keine Einstimmigkeit herrscht und hat das Urteil an das Bundesgericht weitergezogen.

Das gewählte Perspektive im Bild richtet den Fokus von einer Treppe herunter, auf der sich viele junge Menschen befinden. Das Treppenhaus ist relativ eng. Die Wände sind weiss, das Treppengeländer hat einen hölzernen Rahmen, das Geländer selbst hat metallige Schnörkeleien.

M. V. wollte Veterinärmedizin an der Universität Bern studieren. Sie beantragte aufgrund ihrer Dyslexie einen Nachteilsausgleich für den Numerus clausus, unter anderem in Form eines Zeitzuschlags. Die Universität Bern verweigerte den Zeitzuschlag ganz. Das Berner Verwaltungsgericht wies die Beschwerde ab und hielt fest, dass Nachteilsausgleichsmassnahmen keine Vorzugsbehandlung gegenüber anderen Bewerber:innen darstellen sollen. Die Zeit sei ein wesentliches Element des Numerus clausus; ein Zeitzuschlag würde die Vergleichbarkeit der Testergebnisse in Frage stellen. Inclusion Handicap hat am Freitag, 19. Mai 2023 Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht.

Gleichbehandlung ist keine Bevorteilung

Die Schweiz hat sich mit der UNO-Behindertenrechtskonvention (BRK) verpflichtet, Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Hochschulbildung und zu lebenslangem Lernen gleichberechtigt mit Menschen ohne Behinderungen zu gewährleisten. «Daraus und aus dem Diskriminierungsverbot in der Verfassung ergibt sich das Recht auf angemessene Vorkehrungen, um die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten», sagt Cyril Mizrahi, Prozessführender Anwalt von Inclusion Handicap. Darunter fällt auch das Recht auf Nachteilsausgleich bei Prüfungen: Dies stellt keine Bevorteilung dar. 

Zeitzuschlag als anerkannte Massnahme

Während des Medizinstudiums gewährt die Universität Bern anlässlich von Prüfungen Zeitzuschläge als Massnahme des Nachteilsausgleichs. Auch das Bundesgericht hat bereits mehrfach anerkannt, dass die Gewährung eines Zeitzuschlags bei Prüfungen eine mögliche Massnahme aus Sicht des Behindertengleichstellungsrechts darstellt (BGer 2C_974/2014 E. 3.4; BGer 2D_7/2011, E. 3.2). Die Verweigerung eines Zeitzuschlages mit Bezug auf die Zulassungsprüfung zum Medizinstudium steht dem diametral entgegen. «Mit der Durchsetzung gleicher Prüfungsmodalitäten wird das Potenzial von Menschen mit Dyslexie verkannt: Sie hat zur Folge, dass zahlreiche Personen aufgrund ihrer Dyslexie aus dem Arztberuf ausgeschlossen werden», so Jacques Dubochet, Nobelpreisträger für Chemie. In Ländern wie Grossbritannien und den USA werden Zeitzuschläge in ähnlichen Prüfungssituationen selbstverständlich gewährt.

Auskunft

Caroline Hess-Klein, Abteilungsleiterin Gleichstellung Inclusion Handicap
076 379 94 72 / caroline.hessklein@inclusion-handicap.ch 

Cyril Mizrahi, prozessführender Anwalt, Abteilung Gleichstellung Inclusion Handicap
079 412 21 80 / cyril.mizrahi@we-claim.ch